Chronik

Die Anfänge

Erste Erfahrungen von Mitgliedern der Rumänieninitiativgruppe Bautzen e.V. mit dem Land Rumänien reichen in das Jahr 1984 zurück. Diese waren geprägt von der Faszination über die Landschaft und ihre Menschen, aber auch von der Fassungslosigkeit über die Lebensumstände und die Auswirkungen der Politik des damaligen Ceausescu-Regimes.
In den folgenden Jahren entstand aufgrund dieser ersten Begegnungen ein Hilfsprojekt, durch welches – zumeist illegal –  Medikamente, Verhütungsmittel, Literatur, Lebensmittel etc. nach Rumänien transportiert wurden. Die Unterstützung richtete sich an Familien und Gemeinden der Bezirke Harghita und Covasna, die wesentlich von Menschen der ungarischen Minderheit in Rumänien besiedelt sind. Sie waren unter Ceausescu besonderen Repressalien ausgesetzt.


Ein Kinderheim in Rumänien

Nach dem Sturz des Ceausescu-Regimes fuhren im April 1990 zwölf junge Menschen der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Bautzen St. Petri mit einem Hilfstransport nach Rumänien. Ihr damaliger Gemeindepädagoge Rüdiger Steinke war durch Vermittlung von dortigen Partnern dort auf das zweitgrößte Kinderheim Rumäniens in Cristuru-Secuiesc im Bezirk Harghita gestoßen. Es lebten zu diesem Zeitpunkt dort ca. 600 Kinder, die zu ca. 65 % aus Romafamilien kamen. Die Erfahrungen und Eindrücke dieser Reise waren für die Teilnehmenden zutiefst bewegend. Die Zustände, unter denen diese Kinder aufwuchsen, erschienen unerträglich und menschenunwürdig. Allen war klar, dass hier mehr als ein Hilfstransport nötig war. Was die Kinder am nötigsten brauchten, waren liebevolle Zuwendung, Menschen, die mit ihnen spielten, mit ihnen Lieder sangen, Späße machten oder sie trösteten.

 

Nach ihrer Rückkehr waren die Teilnehmenden von der Idee erfasst, einen  Freiwilligendienst zu entwickeln, durch den deutsche Jugendliche für ein bis zwei Jahre in dem rumänischen Kinderheim direkt mit leben und arbeiten könnten.

 

Innerhalb kurzer Zeit war die Initiative in Bautzen bekannt und es konnten erhebliche Spendenmittel akquiriert werden. Im Herbst 1991 zogen die ersten sechs Jugendlichen für ein Jahr nach Rumänien. In der Zeit von 1991-2003 arbeiteten jeweils vier bis sieben junge Leute zumeist für ein, manche auch für zwei Jahre in dem rumänischen Kinderheim als sozialpädagogische Helfer. Insgesamt wurden durch diese Initiative 63 Freiwillige zur Arbeit nach Cristuru-Secuiesc entsendet. In Bautzen gründeten 1993 die an der Initiative Beteiligten den Verein „Rumänieninitiative Bautzen e.V.“.

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Unsere Arbeit nach Auflösung des Kinderheimes

Zwischen 2001 und 2003 wurde das Kinderheim im Zuge der EU-Beitrittsmaßnahmen aufgelöst. Alle Kinder und Jugendlichen des Heimes kamen in kleineren Wohngruppen unter, meist in eigens angemieteten Neubauwohnungen oder auf Bauernhöfen. Kinder unter zwölf Jahren wurden zunächst mit finanziellen Anreizen in Pflegefamilien vermittelt. Die meisten dieser Kinder verließen die Pflegefamilien schon bald und lebten dann ebenfalls in den Wohngruppen, welche bis heute Kinder im Alter von 3 bis 18 Jahren beherbergen.

 

Was zunächst positiv klingt, verbesserte die Lage der Kinder und Jugendlichen nur wenig, da sich das grundsätzliche Betreuungsverständnis für sie nur langsam änderte. Ein echtes pädagogisches Verständnis zur notwendigen und sinnvollen Förderung der Kinder war und ist nach wie vor unterentwickelt. Die vom rumänischen Kinderschutzbund angestellten Erzieherinnen verfügen selten über eine notwendige pädagogische Ausbildung und sind meist wenig motiviert, die Kinder nicht nur zu reglementieren, sondern sie auch zu fördern.

 

Die Arbeit der Rumänieninitiativgruppe Bautzen wurde in den ersten Jahren  durch korrupte Verhältnisse im Kinderheim sowie auf den politischen Ebenen des Ortes sehr erschwert. Auch nach der Auflösung des Kinderheimes war die Arbeit oft abhängig von dem guten Willen der Behörden, den Kindern die Teilnahme an den von uns angebotenen Aktivitäten zu gestatten.

 

Die Rumänieninitiative Bautzen e.V. beschloss nach der Auflösung des großen Kinderheims im Jahr 2003, die sozialpädagogische Arbeit mit den ehemaligen Heimkindern sowie Kindern aus sozial schwachen Familien des Ortes Cristuru-Secuiesc fortzuführen. Als Partner wurde in Cristuru-Secuiesc ein Trägerverein namens „Fehérlófia“ gegründet. Geleitet wurde der Verein bis 2020 von Frau Hajnalka Mateffy . Sie wurde zur Hauptbezugsperson und Leiterin der sich neu konstituierenden Arbeit mit den elternlosen Kindern.

 

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Von Fehérlófia bis Kerekudvar

Seit 2005 wird die gesamte Arbeit durch den Verein Fehérlófia vor Ort verantwortet, organisiert und geleitet. Bis heute werden jedoch nahezu 100 % der Personal,- Betriebs - und Sachkosten von der RIG aufgebracht. Die Mitarbeiterinnen des Vereins Fehérlófia organisieren verschiedenste Programme und Aktivitäten, an denen die inzwischen verstreut lebenden Kinder und Jugendlichen des ehemaligen Kinderheims sowie auch alle anderen Kinder und Jugendlichen sowie interessierte Bürger des Ortes teilnehmen können. Ziel ist die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen sowie die Anregung eines neuen Blickes auf sich selbst, das Gemeinwesen und die eigene Rolle darin. Menschen sollen ermutigt werden, ihr Gemeinwesen selbst zu gestalten und sich zunehmend als aktive Bürgerschaft verstehen.


Die Programme von Fehérlófia fanden bis Oktober 2009 in einer Wohnung sowie in gemieteten Räumen der katholischen Gemeinde statt. Dies machte Kontinuität und eine solide Entwicklung der Arbeit sehr schwer. Teil einer Vision war darum seit Beginn der Tätigkeit des rumänischen Vereins die Errichtung eines Bildungs- und Begegnungszentrums. Nach zwei Jahren intensiver Suche nach einem geeigneten Projekt und einer finanziellen Lösung wurde die Vision Wirklichkeit: Am 10. Oktober 2009 wurde in Cristuru-Secuiesc ein Haus eingeweiht – das Kerekudvar.

 

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Unsere Arbeit im Kerekudvar

„Kerekudvar“ bedeutet „Rundhaus“ oder „runder Hof“. Auch wenn das Haus eckig ist, ist der Name Programm: Die Ungarn errichteten früher ein rundes Haus in der Dorfmitte, welches als Mittelpunkt für soziale Kommunikation, politische Entscheidungen und gestaltete Gemeinschaft diente.


Dank der Jugendsolidaritätsaktion „genialsozial“, des Rotary Club Dresden Blaues Wunder und des Rotary Christoffel Bern/CH sowie des Bauunternehmers Bernhard Pech aus Bautzen sowie weiterer Unterstützer, Helferinnen und Spender wurde der Kauf und die Einrichtung des Hauses im Zentrum von Cristuru-Secuiesc möglich. Die Arbeit des Vereins Fehérlófia bekam damit eine neue Dimension und die Möglichkeit, in eigenen und geeigneten Räumen zu arbeiten und sich den enormen gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen.

 

2011 beschlossen der Verein Fehérlófia und die Rumänieninitiativgruppe Bautzen e.V., die Entsendung von Freiwilligen aus Deutschland nach 21 Jahren einzustellen. Es zeigte sich, dass die Arbeit vor Ort mit den Kindern nunmehr besser von Einheimischen zu leisten ist. Außerdem konnte die notwendige Betreuung der Freiwilligen nicht sichergestellt werden, ohne damit die die anderen Arbeitsfelder einzuschränken.

 

Seit 2009 hat sich die Arbeit im Kerekudvar unter Leitung von Hajnalka Mateffy dynamisch und kontinuierlich entwickelt. Zunächst richtete sie sich wie bisher an die elternlosen Kinder und Jugendlichen in Cristuru-Secuiesc, die in ihrer Freizeit aber auch im Rahmen von schulischen Programmen das Haus aufsuchen. Es wurden neben offenen sozialpädagogischen Aktivitäten von Anfang an spezielle Förderprogramme initiiert, die den Kindern helfen sollen, entwicklungsbedingte Defizite aufzuholen und auszugleichen. Der wertschätzende Umgang und die individuelle Entdeckung ihrer Fähigkeiten, Interessen und Begabungen stehen im Mittelpunkt.

 

In dieser Zeit entstand auch eine zunehmend konstruktive Kooperation mit der örtlichen Kinderaufsichtsbehörde. Die Arbeit im Kerekudvar wird von der Abteilung Kinderschutz der Bezirksverwaltung sehr geschätzt und gewürdigt. Dies hat leider keine Auswirkungen auf eine finanzielle Unterstützung der Arbeit. Der Behörde stehen keinerlei Mittel für freiwillige Aufgaben zur Verfügung. Die Finanzierung der laufenden Arbeit erfolgt über den langjährigen und regelmäßig spendenden Freundeskreis der RIG sowie über Drittförderung. ln den Jahren nach Eröffnung des Hauses von 2009 bis 2012 stellte beispielsweise die Walter-Gastreich-Stiftung dem Verein eine Förderung für Personalkosten zur Verfügung. Weitere wichtige Förderungen erfolgten durch die Sächsische Jugendstiftung, die Diakonie Sachsen, die Rotary Clubs Dresden Blaues Wunder und Christoffel Bern/CH sowie das Landesjugendpfarramt Sachsens.

 

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Offene Arbeit im Kerekudvar seit 2020

Viele Jahre lang war die Zahl der elternlosen Kinder in Cristuru-Secuiesc konstant bei 60 bis 70 Personen bzw. sogar wieder leicht steigend. Bedingt durch wirtschaftliche Turbulenzen, Arbeitsmigration, prekäre Lebensverhältnisse und den Bruch familiärer Auffangnetze gelangen viele Kinder in die Zuständigkeit der Kinderschutzbehörde. Erst seit ca. 2019 sinkt die Zahl der Kinder in den Wohngruppen. Schon seit Gründung des Hauses war es den Verantwortlichen wichtig, es in die Stadt hinein zu öffnen und Angebote auch anderen Kindern, Jugendlichen und Familien zugänglich zu machen. Durch die engagierte Arbeit mit den Kindern entstand ein neues Arbeitsfeld im Kerekudvar. Zunächst kamen Frauen aus dem Ort z.T. als ehrenamtliche, zumeist projektbezogene, Helferinnen zur Arbeit mit den Kindern dazu. Es stellte sich heraus, dass viele dieser Frauen für sich selbst einen Ort suchten, an dem sie über sich und ihre eigene Situation ins Gespräch kommen und ihrer Isolierung entfliehen können. So ist mittlerweile das Kerekudvar ein wichtiger Ort für Frauen aus Cristuru-Secuiesc geworden. Das Musik- und insbesondere das Bandprojekt zieht Jugendliche aus der Stadtgemeinde mit ins Haus. Der große Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss wird für verschiedenste Workshops und Kreise oder für Familienfeiern genutzt.

 

2020 war für das gesamte Projekt ein Jahr des Umbruchs. Im Frühjahr trafen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie die Menschen in Rumänien eine Woche früher und viel drastischer als in Deutschland. Ausgangssperren, Schulen geschlossen, keine Freizeitangebote. Für die Kinder und Erzieher in den Wohngruppen war das eine extrem schwierige Zeit. Mitte März musste auch das Kerekudvar geschlossen werden.

 

In dieser Zeit erkrankte unserer Hausleiterin Hajnalka Mátéffy so schwer, dass sie nur wenige Monate später, am 5. Juli 2020, verstarb. Diese Nachricht traf den Verein unvorbereitet. Hajnalka hatte viele Jahre lang die Arbeit im Kerekudvar und das Leben vieler Kinder und Jugendlicher geprägt. Sie liebte die Arbeit mit den Kindern und es war ihr wichtig, dass diese Arbeit auch ohne sie gut fortgeführt wird. Deshalb hatte sie im späten Frühjahr Frau Borbala Szabo, langjährige Freundin und Vorstandsmitglied des Vereins Fehérlófia, gefragt, ob diese sich die Leitung der sozialen Arbeit im Kerekudvar vorstellen könnte. Was zunächst als Vertretung gedacht war, entwickelte sich überraschend unkompliziert zu einem neuen Team im Kerekudvar: Borbala Szabo als Hausleiterin, Katalin Nagy als pädagogische Mitarbeiterin. So lagen Trauer und Hoffnung, Ende und Anfang wie so oft nahe beieinander. Der Verein ist allen drei Frauen unendlich dankbar, dass die Arbeit im Kerekudvar eine gute Fortsetzung finden konnte.

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